Ökologische Untersuchungen auf FINO 2
Jedes Jahr queren Millionen von Zugvögeln auf ihrem Weg zwischen Brutgebieten und Winterquartieren die südwestliche Ostsee. In welchem Umfang diese Wanderbewegungen durch Offshore-Windparks beeinflusst werden könnten und welche Mechanismen dabei wirken, wird seit 2007 auf FINO 2 untersucht. Vor allem nachts, wenn der Großteil der Vogelarten zieht, besteht durch Offshore-Windenergieanlagen (OWEA) ein potenziell erhöhtes Kollisionsrisiko, wenn Vögel bei ungünstigen Witterungsbedingungen auf See durch die künstlichen Lichtquellen angelockt werden. Auch am Tag sind Einflüsse wie Barrierewirkung oder eine erhöhte Kollisionsgefährdung bei geringen Sichtweiten (Nebel) möglich.
Vor diesem Hintergrund erfolgt auf FINO 2 eine durchgehende Erfassung von Zugvögeln (Tag und Nacht) mit verschiedenen Methoden, die zumeist speziell für den Standort FINO 2 entwickelt bzw. modifiziert wurden. Hiervon sind insbesondere zu nennen:
- vertikal rotierendes Schiffsradargerät
- Fixbeam-Radar „BirdScanM1“
- automatisches Kamerasystem „VARS“
- automatische Radiotelemetrie
- Totfundmonitoring
Vertikal ausgerichtetes Schiffsradar
Vertikal ausgerichtete Schiffsradare werden im Rahmen von Offshore-Planungen in deutschen Meeresgebieten als Standardgeräte für die Erfassung von Intensität, jahreszeitlichem Auftreten (Phänologie) und Höhenverteilung des Vogelzugs eingesetzt. Im Jahr 2007 wurde ein solches Radar mit einer Leistung von 25 kW auf einem Ausleger von FINO 2 in 35 m Höhe installiert und bis 2011 betrieben. Im Anschluss wurde es durch ein speziell entwickeltes Fixbeam-Radar ersetz.
Fixbeam-Radar
Vertikal rotierende Schiffsradargeräte herkömmlicher Bauart haben u. a. den Nachteil, dass unter den erfassten Echos nur eingeschränkt zwischen Vögeln und Nicht-Vögeln (z. B. Insekten) unterschieden werden kann und dass infolge des breiten Radarstrahls errichtete Offshore-Windenergieanlagen erhebliche Störsignale verursachen, was Aussagen zum Vogelzug in deren Nahbereich erschwert.
Einen Ausweg bietet der Einsatz eines speziell entwickelten Fixbeam-Radars. Hierbei erfolgen die Messungen im Gegensatz zum erwähnten Schiffsradar mit einem stark gebündelten Strahl, und es werden direkt Rohsignale abgegriffen. Durch die Bündelung des Radarstrahls ist es möglich, eine größere Reichweite als beim Schiffsradar zu erzielen und Zugraten im Umfeld bestehender Windenergieanlagen zu bestimmen. Die Erfassung von Rohsignalen erlaubt es, von charakteristischen Mustern der Echos, die durch die Flügelschläge der Vögel erzeugt werden, auf die am Zuggeschehen beteiligten Artengruppen zu schließen. Ein derartiges Fixbeam-Radar (Typ BirdScanM1) wurde in Kooperation mit der Vogelwarte Sempach (www.vogelwarte.com) entwickelt und im Jahr 2011 auf FINO 2 installiert. Der Einsatz des Gerätes dient der detaillierten Erfassung des nächtlichen Vogelzugs, der den Großteil der ziehenden Individuen umfasst.
Nach einem Umbau Anfang 2015 wird der Radarstrahl horizontal in verschiedene Richtungen schwenkbar sein. Geplant sind bis 2017 vergleichende Messungen innerhalb und außerhalb des Offshore-Windparks „EnBW Baltic 2“, um zu überprüfen, in welchem Ausmaß Zugvögel den Windpark meiden, durchqueren oder durch ihn angelockt werden. Mit einem vergleichbaren Messdesign wurde bereits 2010 bis 2013 der Vogelzug im Bereich des ersten deutschen Offshore-Windparks „alpha ventus“ in der Nordsee von FINO 1 aus untersucht (http://www.bsh.de/de/Meeresnutzung/Wirtschaft/Windparks/Windparks/Projekte/Oekologische_Begleitforschung_alpha_ventus/Abschlussberichte_StUKplus/Schlussbericht_Vogelzug_Erfassung_von_Ausweichbewegungen_
von_Zugvoegeln_mittels_Pencil_Beam_Radar.pdf). Bei anderen geografischen Gegebenheiten liegen dort im Schnitt geringere Zugintensitäten als über der Ostsee vor und das dominierende Artenspektrum unterscheidet sich. Somit sind auch unterschiedliche Wirkmechanismen durch OWEA möglich.
Automatisches Kamerasystem VARS
Seit Oktober 2007 werden fliegende Vögel (und Fledermäuse) im Mastbereich von FINO 2 mit zwei eigens für FINO 2 entwickelten, infrarotbasierten Kamerasystemen (Visual Automatic Recording System = VARS) aufgezeichnet. VARS erkennt bewegte Objekte sowohl am Tag als auch in der Nacht in Echtzeit automatisch und zeichnet sie als Videosequenz auf. Die Entwicklung des Systems geht auf ein vom BMU gefördertes Forschungsprojekt zurück. Dauermessungen mit den Kamerasystemen sollen klären, wie häufig und unter welchen Witterungsbedingungen Zugvögel in größerer Anzahl durch beleuchtete Offshore-Bauwerke (hier FINO 2) angelockt werden. Dabei können die aufgezeichneten Vögel in der Regel in Arten/Artengruppen eingeordnet werden.
Der langjährige Betrieb von VARS unter Offshore-Bedingungen auf FINO 2 war die Voraussetzung für einen Einsatz der Technik an OWEA. So lief ein weiterentwickeltes VARS von 2010-2013 durchgängig auf Gondel einer Anlage im ersten deutschen Offshore-Windpark „alpha ventus“ (http://www.bsh.de/de/Meeresnutzung/Wirtschaft/Windparks/Windparks/Projekte/Oekologische_Begleitforschung_alpha_ventus/Abschlussberichte_StUKplus/Schlussbericht_Vogelzug_Erfassung_von_Ausweichbewegungen_von_Zugvoegeln_mittels_Pencil_Beam_Radar.pdf).
Automatische Radiotelemetrie
Mit Hilfe der Radiotelemetrie können kleine Singvögel auf Individuenebene über kurze und mittlere Distanzen relativ genau verfolgt werden. Dabei wird den Vögeln ein kleiner Sender auf dem Rücken befestigt, dessen Signale mit Hilfe von Antennen empfangen und aufgezeichnet werden können.
Auf der Halbinsel Falsterbo, dem südwestlichsten Punkt Schwedens und einem der wichtigsten Konzentrationspunkte für Zugvögel in Nordeuropa, führt die Universität Lund (Schweden) eine Radiotelemetriestudie zu Verhaltensstrategien durchziehender Singvögel durch (http://canmove.lu.se/research/migration-patterns/radio-telemetry-studies-on-bird-migration). Dazu werden in mehreren Herbstsaisons vor allem nachts ziehende Singvögel verschiedener Arten mit Sendern ausgestattet.
Da diese Vögel auf ihrem Weg nach Süden die Ostsee queren müssen, wurde vom IfAÖ eine automatische Empfangsstation auf FINO 2 installiert. Damit soll ermittelt werden, ob und mit welchem Anteil die verschiedenen Singvogelarten vom rund 45 km entfernten Zugvogelknotenpunkt Falsterbo aus das Seegebiet um FINO 2 erreichen, auch wenn die Plattform in SSO-Richtung und damit abseits der angenommenen Hauptzugrichtung (SW) liegt. Ein Abgleich mit den mittels Fixbeam-Radar erfassten Zugintensitäten kann klären, inwieweit die erfassten Individuen Bestandteil stärkerer Zugwellen sind, welche sich in SSO-Richtung über die Ostsee bewegen.
Totfundmonitoring
Seit der Errichtung von FINO 2 im Sommer 2007 werden tot auf dem Plattformdeck und dem Messmast gefundene Vögel dokumentiert. Hintergrund ist die Annahme, dass es sich hierbei nahezu ausnahmslos um Kollisionsopfer mit der Konstruktion handelt, was durch Aufzeichnungen mit VARS und pathologische Untersuchungen gestützt wird. Das Totfundmonitoring ermöglicht eine Einschätzung, welches Artenspektrum durch Offshore-Bauwerke potentiell gefährdet ist, auch wenn die Ergebnisse in quantitativer Hinsicht nicht direkt auf OWEA übertragbar sind.
Ergebnisse zum Vogelzug
Der Vogelzug über der südwestlichen Ostsee ist durch eine ausgeprägte Saisonalität gekennzeichnet, die vor allem hohe Intensitäten in den Frühjahrs- und Herbstzugperioden zeigt. Aber auch außerhalb der Hauptzugzeiten kommt der Vogelzug nie vollständig zum Erliegen. So kann z. B. ein Kälteeinbruch auch im Winter noch Zugbewegungen von verschiedenen Arten auslösen.
Die Messungen mit Fixbeam-Radar ergaben starke kurzfristige Schwankungen der Zugintensitäten innerhalb der einzelnen Zugsaisons, die alle Vogelgruppen (Singvogeltyp, Watvogeltyp, etc.) betrafen. Die mit Abstand häufigste Gruppe waren Singvögel, die in den Spitzennächten mit Zugraten von mehreren tausend Individuen pro Stunde und Kilometer erfasst wurden. Damit liegen diese Werte um ein Mehrfaches über den Zugraten, die von FINO 1 aus in der Nordsee mit einem vergleichbaren Gerät gemessen wurden. Mit dem Fixbeam-Radar ließ sich der Vogelzug bis in 3.400 m Höhe überwachen. Bezogen auf 200 m-Höhenschichten wurden die höchsten Zugintensitäten in den untersten 200 m registriert. Auch oberhalb von 1.500 m Höhe – dem maximal mit herkömmlichen Schiffsradargeräten erfassbaren Bereich – wurde noch Vogelzug festgestellt, der sich in abnehmenden Anteilen bis hin zur Erfassungsgrenze von 3.400 m Höhe erstreckte.
Mit dem Kamerasystem VARS konnte über viele Jahre hinweg die nächtliche Lichtanlockung von Zugvögeln an der FINO 2 gemessen werden. Dabei ließ sich eine Dominanz von Singvögeln feststellen. Nächte mit hohen Anzahlen angelockter Vögel traten relativ selten, aber regelmäßig in den Zugzeiten im Frühjahr und Herbst auf. Sie waren durch geringe Sichtweiten, einsetzenden Niederschlag, ungünstige Winde (Wechsel von Rücken- zu Gegenwind) und/oder eine absinkende Wolkendecke gekennzeichnet. Als Folge der Lichtanlockung traten auch Kollisionen von Vögeln mit auf, von denen ein Teil tot auf den Gitterrosten des Mastes oder auf dem Plattformdeck gefunden werden konnte. Dabei handelte es sich fast ausschließlich um nachtziehende Singvögel. Im Gegensatz zu den FINO-Plattformen der Nordsee, auf denen vor allem Drosseln gefunden wurden, dominierte der Fitis das auf FINO 2 festgestellte Artenspektrum.
Durch die Markierung mit Radiotelemetrie-Sendern und die automatische Registrierung an der FINO 2 konnte das individuelle Zugverhalten von nachtziehenden Singvögeln über die südwestliche Ostsee verfolgt werden. Dabei ergab sich ein überraschend hoher Anteil an Individuen, die im Herbst vom international bedeutenden Zugvogelknotenpunkt Falsterbo (Schweden) aus das Seegebiet um FINO 2 erreichten, obwohl die Plattform abseits der allgemein angenommenen Hauptzugrichtung dieser Vögel liegt. Vergleiche mit den Ergebnissen des Fixbeam-Radars ergaben, dass die über Sender registrierten Individuen in der Regel dann FINO 2 erreichten, wenn auch sonst ein verstärkter Zug von Singvögeln im Bereich von FINO 2 gemessen wurde. Diese Zugwellen deckten sich wiederum mit erhöhten Fangzahlen häufiger Singvogelarten an der Beringungsstation auf der „Greifswalder Oie“ (www.jordsand.eu/index.php?id=53), einer kleinen Insel vor der deutschen Ostseeküste.
Publikationen und Präsentationen zur Vogelzugforschnung auf FINO 2
Coppack T, Sjöberg S., Schulz A., Schleicher K, Weidauer A., Muheim R., Åkesson S. & T. Alerstam 2013. Tracking needles in a misty haystack – The challenge of assessing impacts of offshore wind farms on night-migrating songbird at the species level. Naturvårdsverket Rapport 6546: 45-46
Dittmann T, Åkesson S, Alerstam T, Kulemeyer C, Liechti F, Muheim R, Schulz A, Sjöberg S, Steuri T, Weidauer A & T Coppack 2013. From individual decisions to mass migration events: factors shaping migration patterns in songbirds crossing the open sea. EOU2013UK – the 9th Conference of the European Ornithologists’ Union. Norwich. Programme & Abstracts: 74.
Schulz A, Kulemeyer C, Röhrbein V & T. Coppack 2011. The extent of phototactic attraction of night-migrating birds passing an illuminated steel mast in the western Baltic Sea. International Conference on wind energy and wildlife impacts, Trondheim, Norway. NINA Report 693: 102.
Schulz A, Röhrbein V, Schleicher K, Kulemeyer C & T. Coppack 2011. Die Forschungsplattform FINO 2 – eine automatisierte Vogelwarte inmitten der Ostsee. Seevögel 32: 99-101.
Schulz A, Sjöberg S, Schleicher K, Weidauer A, Muheim R, Coppack T 2012. Von Falsterbo ins Nirgendwo? – Automatisierte Telemetrie des herbstlichen Singvogelzugs auf der Offshore-Plattform FINO 2 in der Ostsee. 145. Jahresversammlung der Deutschen Ornithologen-Gesellschaft, Saarbrücken. Vogelwarte 50. Heft 4: 257-258.
Coppack T. 2013. Bird migration measurements performed at FINO2. FINO Conference 2013: 10 years of FINO Offshore Wind Energy research and analysis, Kiel.
Die vom IfAÖ durchgeführten Untersuchungen zum Vogelzug auf FINO 2 waren Bestandteil der vom BMU finanzierten FINO 2-Gesamtprojekte „Aufbau und Betrieb einer Messplattform zur Erprobung der westlichen Ostsee als Unterstützung zur Untersuchung aller Haupt- und Nebenbedingungen für langfristige windenergetische Nutzung (FINO II)“ (FKZ 0329990), „Wissenschaftlich-technische Ausrüstung der Forschungsmessplattform zur Erforschung der westlichen Ostsee FINO 2 – Equipment“ (FKZ 0329990A) und „Betrieb der Forschungsplattform FINO 2“ (BMU; FKZ 0329905D). Der aktuelle Forschungsauftrag des IfAÖ wird direkt durch das BMWi gefördert.
Ansprechpartner:
Dr. Axel Schulz / Dr. Tobias Dittmann
Institut für Angewandte Ökosystemforschung
Fachbereich Ornithologie
Carl-Hopp-Str. 4a
D-18069 Rostock
Tel.: +49 381 252312-11/13
schulz@ifaoe.de